Begegnungen mit Lou Andreas-Salomé

Kopie der Einladung von 1899

Lou Andreas-Salomé und der Allgemeine bayrische Frauentag

Am 18.-21. Oktober 1899 hat in München der erste Allgemeine bayrische Frauentag stattgefunden.
Beim Festabend, am Samstag, den 21. Oktober, verlas Ria Claasen Lou Andreas-Salomés „Gebet an das Leben“. Unter dem Motto „Gedichte moderner Dichterinnen“ wurden auch Gedichte von Ada Negri, Marie Janitschek, Thekla Lingen, Ricarda Huch, Emmy von Egidy, Alberta von Puttkammer und Anna Ritter vorgetragen. Zur Aufführung kam auch eine szenische Dichtung mit dem Titel „Culturbilder aus dem Frauenleben“ von Marie Haushofer.

Ans Licht gebracht hat dies die Ausstellung „Evas Töchter“, die noch bis 2019 in der Münchener Monacensia-Sammlung zu sehen war. Der Text der szenischen Dichtung ist zusammen mit etlichen Fotos der Aufführung im zugehörigen Ausstellungskatalog abgedruckt.

Veranstaltet wurde der Allgemeine bayrische Frauentag vom Verein für Fraueninteressen, der 1894 gegründet worden war. Gründungsmitglied war u.a. Anita Augspurg. Später waren auch die Schwestern Mathilde und Sophia Goudstikker, Rainer Maria Rilke, Hermann Obrist und etliche andere bekannte Namen – u.a. auch eine Frau Prof. Pringsheim – Mitglied im Verein. Von einer Mitgliedschaft Lou Andreas-Salomés findet sich allerdings keine Spur.

Vielen Dank für die Unterstützung bei der Recherche durch Frau Elferich vom Verein für Fraueninteressen e.V.

Verein für Fraueninteressen: https://www.fraueninteressen.de/

Iwan Bloch (1872–1922)

 Im Jahr 1917 hat Lou Andreas-Salomé den Aufsatz „Psychosexualität“ in der „Zeitschrift für Sexual­wissen­schaft“ des Arztes und Sexualforschers Iwan Bloch (1872–1922) veröffentlicht.

Die Basis dieses Aufsatzes war im Frühjahr 1916 als sog. „Ubw-Buch“ [Ubw = Unbewusstes] entstanden, über das sie sich im Mai brieflich mit Sigmund Freud austauscht. Am Ende wird jedoch nichts aus der Publikation des Ubw-Buchs. Stattdessen wird der Mittelteil („Ubw als Psychosexualität“), von dem Freud erst zu einem Zeitpunkt erfuhr, als die gesonderte Publikation bereits beschlos­sene Sache war, zu dem Aufsatz umgearbeitet.

Wie der Kontakt zu Iwan Bloch zustande kam, ist nicht bekannt. Allerdings waren beide mit Helene Stöcker in Verbindung. Zudem war Bloch 1908 Gründungs­mitglied der Psychoanalytischen Gesellschaft Berlin, die 1910 in die Psychoanalytische Vereinigung, Ortsgruppe Berlin, überging, so dass die Bekanntschaft auch über Karl Abraham, dem ersten Vorsitzenden der BPV, entstanden sein könnte. Im November und Dezember 1916 trafen sich Andreas-Salomé und Iwan Bloch dreimal. Am Tag nach dem zweiten Treffen meldet Andreas-Salomé an Freud, dass der Aufsatz publiziert würde.

Lou Andreas-Salomé war für Iwan Bloch keine Unbekannte, als er sie 1916 traf. Wie sein Buch „Das Sexualleben unserer Zeit in seinen Beziehungen zur modernen Kultur“ (1907) belegt, kannte er ihre Romane und Erzählungen bereits vor ihrer Monografie „Die Erotik“ (1910). In Kapitel 31 seines Buches („Die Liebe in der belletristischen Darstellung“) nennt er explizit: „Eine Ausschweifung“ als einen exzeptionell gelungenen Text im Blick auf den „seelischen Masochismus eines Weibes“; sowie „Ruth“, „Fenitschka“, „Ma“ und „Menschenkinder“ mit Bezug zu den „feineren seelischen Beziehungen zwischen Mann und Weib“.

(Von Thomas Höfert, Freiburg)

Der Aufsatz „Psychosexualität“ ist enthalten im Band 4 der Aufsätze und Essays (AuE 4): Zum Shop

Wilhelm Bölsche (1861–1939)

Vgl. seine Kurzbiografie auf der Seite Zeitgenossen

Kennengelernt haben sich Lou Andreas-Salomé und Wilhelm Bölsche vermutlich 1891, eventuell bereits 1890, über ihren Ehemann Friedrich Carl Andreas, der schon vor ihrer Ehe über Kontakte zu den literarischen Kreisen Berlins verfügte. Andreas-Salomé war rasch fasziniert: Was sie »hier am stärksten berührte, war das Menschliche: es war der frohe Auftrieb, die bewegte Jugend und Zuversicht, der es nichts verschlug, daß die trübseligsten und düstersten Themen sich herausnahmen, den neuen Geist zu predigen« (L 97). Man traf sich oft und diskutierte heftig.

So kam es auch, dass Wilhelm Bölsche eng in ihre Affäre mit Georg Ledebour verwickelt war, da sie Ledebour im Bölschekreis kennengelernt hatte und die Begegnungen oft dort stattfanden – auch diejenige zu dritt, bei der Lou Angst hatte, Friedrich Carl Andreas würde mit dem Messer auf Ledebour losgehen (L 209).

Ihr reger Austausch in den 90er Jahren des 19. Jahrhunderts schlug sich auch in den jeweiligen Veröffentlichungen nieder:

  • Im Aufsatz »Der Realismus in der Religion« (Freie Bühne 1891) zitiert Andreas-Salomé aus dem letzten Kapitel von »Die Mittagsgöttin« (1891) (siehe Aufsätze und Essays Bd. 1).
  • Bölsche rezensiert ihr Buch »Ibsens Frauengestalten« (Freie Bühne für modernes Leben 1891; enthalten im Bd. 7 Ibsens Frauengestalten).
  • Andreas-Salomé rezensiert Bölsches »Liebesleben in der Natur« unter dem Titel »Physische Liebe« (Zukunft 1898; siehe Aufsätze und Essays Bd. 2) und »Vom Bazillus zum Affenmenschen« (Literarisches Echo 1899/1900; siehe Aufsätze und Essays Bd. 3.1).
  • In ihrem Aufsatz »Mensch als Weib« (Neue Deutsche Rundschau 1899) beginnt sie ihre Ausführungen mit einem Hinweis auf Bölsches »Liebesleben in der Natur« (siehe Aufsätze und Essays Bd. 2).

(von Gerd-Hermann Susen, dem Herausgeber von Bd. 1 der Gesamtausgabe von Wilhelm Bölsches Werken; siehe auch siehe auch seinen Aufsatz »Dichtung und Wahrheit«. Lou Andreas-Salomés dichterische Anfänge im Spiegel der überlieferten Korrespondenz. In: text & kontext, Jg. 34/2012, S. 63-96)

Constantin Brunner (1862–1937)

Vgl. seine Kurzbiografie auf der Seite Zeitgenossen

Die Begegnung mit Constantin Brunner fällt nach Tagebuchaufzeichnungen von Lou Andreas-Salomé in das Jahr 1910. Sie hat offensichtlich direkt nach der Lektüre der »Die Lehre von den Geistigen und vom Volk« Brunners und einer Diskussion darüber mit Gustav Landauer die persönliche Begegnung mit Constantin Brunner gesucht und gefunden. Was sich in dieser Begegnung tatsächlich abgespielt hat, ist nicht mehr rekonstruierbar. Die (durchaus kritische) Begeisterung Lou Andreas-Salomés für die Lehre Brunners ist jedoch insofern von großer Bedeutung, als der Zeitpunkt nahezu mit der wohl wichtigsten biografischen Zäsur in Lou Andreas-Salomés Leben korrespondiert: der Begegnung mit Freuds Psychoanalyse.

In der kollektiven Geistesgeschichte spiegelt sich ein ähnlicher Übergang: nämlich der zwischen Nietzsches Lebensphilosophie und Freuds Psychoanalyse. Die abendländische Trennung von Geist, Körper und Seele war für die DenkerInnen dieser Zeit nicht mehr aufrecht zu erhalten. Brunners Versuch einer spinozistisch gedachten Ethik war in Lous Augen von beeindruckender »Größe« und setzte Nietzsches Ansätze fort. Doch ähnlich wie dieser (und vielleicht auch deswegen von Brunner selbst als »Antipode« gewertet) konnte er sein Denken nicht in sein Leben übersetzen. An diesem Punkt hat sich wohl die von anfänglicher, hoffnungsvoller Begeisterung getragene (kolportierte) Aussage Lou Andreas-Salomés »sie wolle nur mehr für diese Lehre leben« in distanziertes Wohlwollen verwandelt.
Nur ein Jahr später fand Lou Andreas-Salomé das, was sie bei Brunner vermeintlich identifiziert hatte, in der Begegnung mit Freud und seiner Psychoanalyse wieder: nämlich die sachlich-praktische Umsetzung einer Lehre, die diesseits von Transzendenz, Metaphysik und ideologisch-spekulativer Überzeugung den ganzen Menschen in seinem Beziehungsgeflecht nicht nur zu erforschen trachtete, sondern auch in der Anwendung der Psychoanalyse, zu einem selbstbestimmten, individuellen Lebensmuster verhelfen konnte.

(von Claudia Weinzierl, die den Vortrag »Die Begegnung Lou Andreas-Salomé und Constantin Brunner. Der ›missing link‹ zwischen Lebensphilosophie und Psychoanalyse?« am 23.10.2012 bei der Tagung »Constantin Brunner im Kontext« im Jüdischen Museum Berlin gehalten hat; vgl. auch ihren Aufsatz im Forschungsband »Ihr zur Feier«)

Oskar Bruns (1878–1946): Analysen im Klinikum Königsberg 1923/24

Vgl. seine Kurzbiografie auf der Seite Zeitgenossen

Im September 1923 teilte Lou Andreas-Salomé Max Eitingon mit, dass sie ab 1.10. für längere Zeit in Königsberg sein werde, um dort Analysen durchzuführen. In der Tat wird ihr Aufenthalt dort ein halbes Jahr dauern, denn erst am 11.4.1924 kehrte sie wieder nach Göttingen zurück.
Bereits ein paar Tage nach ihrer Ankunft erzählte sie Anna Freud von den sehr schwierigen Zuständen dort (am 5.10.1923). Auch Sigmund Freud erfuhr davon und versuchte zu intervenieren: »… ich ärgere mich so darüber, daß Sie sich so schonungslos malträtieren lassen« (am 4.11.1923).

Wie kam es zu diesem Engagement? Und was hat zu diesem Desaster geführt?
Lou Andreas-Salomé kannte Oskar Bruns und seine Familie aus Göttingen, wo er die Medizinische Universitäts-Poliklinik leitete. Er kannte die Psychoanalyse.[1] Im April 1922 ging Oscar Bruns nach Königsberg als Direktor der Medizinischen Poliklinik der dortigen Universität.[2]
Schon bald bat er Andreas-Salomé, »im Sommer für eine Reihe von Monaten« nach Königsberg zu kommen. Es sei sein »innigster Wunsch«, unter ihrer Leitung in die »psycho-physische Betrachtungs- und Behandlungsweise« eingeführt zu werden (zit. nach SF-LAS-Br 275 Erläuterungen). Für Januar bis März schickt er ihr bereits einen Patienten nach Göttingen und im Juni noch seinen ersten Assistenten (LAS-AF-Br 129 und 189).

Besonders großen Enthusiasmus entfaltete sie für diese Aufgabe allerdings nicht: »Annehmen muß ich die Sache natürlich, da sie eine Verdienstmöglichkeit bietet, ich keine andere weiß und die Wasser immer höher steigen. Ich hab nur noch wenige Jahre vor mir worin ich noch tüchtig leisten kann, dann bin ich vielleicht marode, aber noch kann ich es (und empfinde es mit Glück an den Analysen).« (an Anna Freud am 19.1.1923).

Aber mit derart katastrophalen Verhältnissen hatte sie nicht gerechnet:
Sie hatte bis zu elf Analysestunden täglich abzuhalten, musste sich erstmal mit einer sehr bescheidenen unbeheizten Unterkunft vorlieb nehmen und musste sich ihr Essen auf einem Spirituskocher warm machen. Zu allem Überfluss »wackelt [Bruns] absolut hin und her, bald glühend Analyse ersehnend, bald ablehnend oder spöttisch«, zudem will er als »Chef der andern« für sich besondere Bedingungen (Brief an Anna Freud vom 14.7.1923).
Zwar erhält sie ab Januar eine beheizte Behausung (bei hohen Minusgraden!), jedoch hat der Assistent, der ihr als »Aushängeschild« für die Analysen dienen sollte, Ende Oktober die Analyse abgebrochen und ist aus Königsberg verschwunden (an Anna Freud am 5.10.1923).

Und eine andere Sache bedrückte sie auch sehr: Die Armut rund herum und die galoppierende Inflation, die zwar durch die Einführung der Rentenmark etwas gebremst wurde, jedoch auch den ursprünglich »reichen Fonds« der Klinik praktisch vernichtete – und damit Andreas-Salomés Verdienst schmerzhaft schmälerte.

Trotz allem blieb sie in Königsberg, bis auch die letzten Analysen abgeschlossen waren – und zwar weil sie wie so oft große Freude und Befriedigung bei der Durchführung der Analysen empfand.[3] Erst Mitte April 1924 fuhr sie nach Hause. Dieses späte Rückreisedatum kostete sie die Teilnahme am Salzburger Kongress, der kurz darauf stattfand – und sie es nicht übers Herz brachte, ihren kränkelnden Mann schon wieder alleine zu lassen.

Anna Freud (1895–1982)

Eine, die „Das Haus“ kannte, bevor sie das Haus kannte, war Anna Freud. Im Dezember 1921 hatten die beiden Frauen einander in Wien kennengelernt, und im April 1922 reiste Anna zu Lou nach Göttingen. Balduin und Markus Mandelstein kenne sie gut, schreibt sie und fragt in aufgeregter Reisevorfreude: „Wohnst Du in Göttingen so wie Anneliese im Berghaus?“ (Brief an LAS vom 26.3.1922) „[E]instmals wirklich ähnlich“ sei es „gelegen wie Annelieses, seither viel zugebaut ringsum“, antwortet Lou (Brief vom 29.3.1922).

Der Hinweg vom Göttinger Bahnhof auf den Hainberg, wo Loufried stand, taucht umgekehrt in einem literarischen Fragment von Anna Freud auf (Anna Freud: Gedichte – Prosa – Übersetzungen, Nr. 61).

Dies ist bezeichnend für die Begegnung von Lou Andreas-Salomé und Anna Freud: Sie stand zunächst unter literarischen Vorzeichen, hatte doch die Jüngere dahingehende Ambitionen, bevor sie sich für die Psychoanalyse entschied, und fand doch die Ältere, dass das Dichten „die schönste Umsetzung der väterlichen Ps.A. inʼs Weibliche“ wäre (LAS an SF, 28.8.1917).

Zum literarischen Austausch kam der psychoanalytische: Schon bei diesem ersten Besuch arbeiteten beide am Vortrag „Schlagephantasie und Tagtraum“, den Anna Freud im Mai 1922 vor der Wiener Psychoanalytischen Vereinigung hielt und für den beide in die Vereinigung aufgenommen wurden. Seit der ersten Begegnung in Wien standen die beiden in kontinuierlichem brieflichem Austausch, leibhaftig begegneten sie einander insgesamt neun Mal – davon fünfmal in Göttingen. Ihr Gespräch kreiste als Seelengespräch um alles, was sie jeweils innerlich bewegte, um Literatur, Psychoanalyse in Theorie und Praxis, um Sigmund Freud, der die Freundschaft eingefädelt hatte, um Anna ein Stück weit von sich loszubringen (vgl. Spreitzer: Fast schreiben, in: Forschungsband). Lou Andreas-Salomé ist‘s beim Reisen nach Wien, als „käm [sie] heim zu Vater und Schwester“ (Brief vom 31.10.1928), Anna Freud nimmt die Rolle gerne an – „Ich bin so froh, daß ich Deine Schwester sein soll.“ (Brief vom 15.11.1928) – und erotisiert sie. Bis Dorothy Burlingham in ihr Leben tritt, bestrickt sie Lou häufig mit Konkretem und Verbalem, das Spiel mit Worten beantwortet Lou Andreas-Salomé immer wieder gerne. Die ödipale Fantasie bietet dafür den Rahmen. Für AF scheint es gerade die Distanznahme unter Wahrung von Zuneigung und Freundschaft gewesen zu sein, die ihr die eigene Weiterentwicklung ermöglichte.

(von Brigitte Spreitzer, die das literarische Werk von Anna Freud herausgegeben hat – und unseren Editionsband „Das Haus“)

Hulda und Arne Garborg (1862–1934 und 1851–1924)

Vgl. ihre Kurzbiografie auf der Seite Zeitgenossen

Im Umfeld des Friedrichshagener Kreises (Wilhelm Bölsche, Bruno Wille, Heinrich und Julius Hart) lernte Lou Andreas-Salomé Anfang 1891 den norwegischen Schriftsteller Arne Garborg und seine Frau Hulda kennen. Wie so viele der jungen Generation war auch sie fasziniert von seiner Persönlichkeit und seinen literarischen Arbeiten. Kurze Zeit – bis zur Rückkehr der Garborgs nach Norwegen im Mai 1891 – standen die Ehepaare Garborg und Andreas in regem persönlichem Austausch. Hulda Garborg übersetzte Lou Andreas-Salomés »Ibsen«-Buch ins Norwegische. Es erschien 1893 in Oslo.

(von Gerd-Hermann Susen, dem Herausgeber von Bd. 1 der Gesamtausgabe von Wilhelm Bölsches Werken; siehe auch seinen Aufsatz »Dichtung und Wahrheit«. Lou Andreas-Salomés dichterische Anfänge im Spiegel der überlieferten Korrespondenz. In: text & kontext, Jg. 34/2012, 63-96)

Hermine von Hug-Hellmuth (1871–1924)

Beide Frauen waren Psychoanalytikerinnen und beide haben sich intensiv mit der psychischen Entwicklung von Jugendlichen beschäftigt. Die eine verfasste bereits in voranalytischer Zeit Erzählungen zu halbwüchsigen Mädchen und brachte später das eigene Jugenderleben in ihre psychoanalytischen Aufsätze ein, die andere konzentrierte ihre psychoanalytische Arbeit auf Jugendliche und setzte ihre Theorien bei der Erziehung ihres Neffen um.

Trotz dieser thematischen Nähe zueinander kannten sich die beiden Psychoanalytikerinnen wohl nicht persönlich. Aber man darf wohl davon ausgehen, dass die den beiden Psychoanalytikerinnen die Arbeiten der jeweils andern bekannt waren. Einziger sichtbarer Berührungspunkt sind die gegenseitigen Rezensionen:

  • 1914 besprach Hug-Hellmuth »Im Zwischenland« in der Imago, wo in Heft 1 desselben Jahrgangs Andreas-Salomés »Zum Typus Weib« erschienen war. Hug-Hellmuth bescheinigte den Erzählungen, dass sie den »Familienkomplex« korrekt schildern, so wie er von der »modernen Seelentiefenforschung mit nüchternem Verstand« erfasst werde. Dass die Erzählungen aus vorpsychoanalytischer Zeit stammen, ließ sie sich von Andreas-Salomé brieflich bestätigen.
  • In ihrer Besprechung des »Tagebuch eines halbwüchsigen Mädchens« im Literarischen Echo von 1920 folgt Andreas-Salomé prinzipiell der positiven Einschätzung Sigmund Freuds, schiebt jedoch die Einordnung als »Quellenschrift zur seelischen Entwicklung« an die Seite und verweist stattdessen auf seine literarische Qualität, die auch dahin führen könne, »Eltern zu erziehen«. Dieser Ansatz geht in eine grundsätzlich andere Richtung als derjenige von Hug-Hellmuth, die primär die Kinder selbst beeinflussen wollte.
    Kurze Zeit danach erwies sich das »Tagebuch« als Fälschung, die Hug-Hellmuth selbst verfasst hatte.
  • Zwei Jahre später fällt Hug-Hellmuths Urteil über Andreas-Salomés »Drei Briefe an einen Knaben« kritischer aus, indem sie zwar das einleitende Märchen als sehr geglückt lobt, jedoch den beiden aufklärerischen Briefen die Verständlichkeit beim angesprochenen Knaben abspricht.

Als einige Jahre später Hug-Hellmuth von ihrem Neffen ermordet wurde, schrieb Andreas-Salomé an Anna Freud: »Die grausige H.-H.-Ermordung muß doch auch ein choc für Euch gewesen sein: daß Jemand, den man, von Kindesbeinen an sozusagen, analysierte und so öffentlich darin herausstellte, so unvermerkt fähig sein konnte einen Raub[mord] an der Tante Hermin' zu begehn, ist erschütternd.« (am 22.9.1924) Und lässt auch Zweifel an der Wirkung der Therapieversuche aufkommen – ließe sich ergänzen.

Hermine von Hug-Hellmuth ist heute praktisch nur durch die beiden Skandale bekannt: die Fälschung des »Tagebuchs« und der Ermordung durch ihren Neffen.

Hug-Hellmuths Rezensionen sind enthalten in: »Im Zwischenland« und in »Drei Briefe an einen Knaben« (2. Aufl.)
Andreas-Salomés Rezension ist enthalten in: »Mein Dank an Freud«

Broncia Koller-Pinell (1863–1934)

Vgl. ihre Kurzbiografie auf der Seite Zeitgenossen

Seit 1895 war Lou Andreas-Salomé mit Broncia und ihrem Bruder Friedrich Pineles befreundet. Das Ende der Beziehung zum Bruder im Jahr 1901 hat wohl auch die Freundschaft mit Broncia beendet. Broncia Koller-Pinell hatte zwei Kinder – Rupert (geb. 1896) und Silvia (geb. 1898) –, die Lou Andreas-Salomé sehr mochte.

Ihre künstlerische Karriere nahm schon früh ihren Anfang, als 1893 drei ihrer Bilder im Münchner Glaspalast und eines auf der Weltausstellung in Chicago zu sehen waren. Ab dem Jahr 1900 intensivierte sie ihre künstlerischen Aktivitäten und war bis zu ihrem Tod an vielen heimischen und internationalen Ausstellungen beteiligt. In späteren Jahren ist sie zusammen mit ihrem Mann auch als Förderin von Egon Schiele hervorgetreten.

Im Jahr 2014 ehrte das Landesmuseum Niederösterreich in St. Pölten die Künstlerin mit einer Ausstellung zu ihrem 150. Geburtstag. In der Ausstellung selbst waren leider nur 25 Gemälde und 12 Holzschnitte zu sehen, die von einigen Fotos aus dem privaten Bereich ergänzt werden. Eine Gesamt-Retrospektive dieser Künstlerin steht also nach wie vor aus. Leider ist auch das Gemälde von Lou Andreas-Salomé nicht dabei, das in der Literatur gelegentlich erwähnt wird.

Lou Andreas-Salomé bei Broncia Koller in Hallein

Noch vor dem Ende der Wolfratshausener Sommerfrische 1897 verließ Lou Andreas-Salomé Anfang September für zwei Wochen den frisch verliebten Rainer Maria Rilke, um in Hallein ihre Freunde Broncia Koller-Pinell und ihren Mann Dr. Hugo Koller zu besuchen, die im Jahr zuvor geheiratet hatten. Wir dürfen wahrscheinlich davon ausgehen, dass auch der Bruder Friedrich Pineles anwesend war.

Foto vom Kletzlhof inmitten des Gewerbegebiets

Gewohnt hat das Paar im sog. Kletzlhof und Hugo Koller hat bei der Zellulosefabrik gearbeitet, die nur rund 800m vom Kletzlhof entfernt situiert ist.

Der Kletzlhof war ein kleines Barockschlösschen, ursprünglich Sommersitz der Salzburger Erzbischöfe, das später zu einem Gutshof umgebaut worden war. Heute liegt der Kletzlhof mitten im Gewerbegebiet, die Straße „Am Kletzlhof“ ist eine Ringstraße, die um die örtliche McDonalds-Filiale herumführt und als einzige weitere Hausnummer den Kletzlhof selbst anführt, der von einem hohen Zaun umgeben ist und außer der Dachfläche nichts mehr preisgibt.

Foto der heute noch aktiven Papierfabrik

Die Zellulosefabrik „The Kellner-Partington Paper Pulp Co. Ltd.“ war 1890 gegründet worden und nach einer wechselvollen Geschichte wird heute dort Zellstoff produziert (Fa. M-real). Am nahe gelegenen Kreisverkehr ist ein Kollergang ausgestellt, wie er um 1900 für die Papierherstellung verwendet wurde. Rein assoziativ klingt das so, als hätte Hugo Koller etwas mit dieser Erfindung zu tun … 

Johannes Jaroslaw Marcinowski (1868–1935): Klinische Analysen 1920/21

Vgl. seine Kurzbiografie auf der Seite Zeitgenossen

»Die Erfahrungen dort [im Marcinowskischen Sanatorium] lassen mich zögern, mich nach einer ähnlichen Stellung nochmals irgendwo umzusehn«, schreibt Andreas-Salomé im Juli 1922 an Max Eitingon (Brief 12, in: LAS-ME-Br ). Als Begründung gibt sie an, dass dort die Existenz der Berliner Poliklinik »wie imgrunde überhaupt Freud's Werk selbst« verschwiegen werde, »um es bequemer auszubeuten«. Welche Erfahrungen hat Andreas-Salomé gemacht, um zu diesem Schluss zu kommen?

Johannes Marcinowski[1] ist als Arzt und Psychotherapeut eine vielschichtige und unabhängig agierende Gestalt in der Frühgeschichte der Psychoanalyse. Er hat sich schon früh im Selbststudium in die psychoanalytischen Schriften eingelesen und sie in seiner Praxis angewendet. Das brachte ihm anfangs eine gewisse Achtung unter den Psychoanalytikern ein – insbesondere von Sigmund Freud und C.G. Jung.[2]

Marcinowski betrieb seit 2007 ein Sanatorium »Haus Sielbeck« am Uklei (Nähe Eutin), das er jedoch im Februar 1919 – trotz aller Erfolge – verkauft hat. Mit seiner (zweiten) Familie zog er nach Heilbrunn[3] in der Nähe von Bad Tölz um. Dort begann er bald wieder Patienten zu behandeln, die sich stationär bei ihm aufhielten.

In dieser Zeit war Lou Andreas-Salomé bei ihm in Heilbrunn. Das erste Mal für kurze Zeit Anfang Juni 1920, das zweite Mal »für längere Zeit« zwischen Mai und August 1921.
Wie ist es dazu gekommen? Wann hat Andreas-Salomé Marcinowski kennengelernt? Eine exakte Angabe gibt es dafür nicht – nur einige Vermutungen.[4]

Mit der Aufgabe von Sanatorium Sielbeck und dem Umzug nach Heilbrunn jedoch begann Marcinowskis Abwendung von der Freudschen Psychoanalyse. Trotzdem wurde er 1921 als Leiter eines neu zu gründenden Freud-Kreises vorgeschlagen, was wohl auf die Anregung von Andreas-Salomé zurückgeht (Briefe v. 16.6.1920 und 20.7.1920, in: SF-LAS-Br 112 und 118).

Lou Andreas-Salomé wird von ihrem positiven Eindruck, den sie aus ihrem Aufenthalt in Heilbrunn im Juni 1920 gewonnen hatte, zu diesem Vorschlag geleitet worden sein. An Sigmund Freud hat sie am 16.6.1920 außergewöhnlich enthusiastisch geschrieben: »Ich möchte Ihnen sagen, welch einen starken Eindruck ich von Marcinowski's Gemeinschaft der Kranken unter sich und mit ihm empfangen habe!« und »Frau Gustel ist es ganz speziell, die das vielleicht erst so ermöglicht; sie war für mich ein Fund, ein überraschender und beglückender« (SF-LAS-Br 112 f.).[5]

Zu einer völlig anderen Beurteilung von Marcinowskis Ansatz kam dagegen Karl Abraham. Im Herbst 1920 versandte er einen Rundbrief, in dem er massiv warnte: »Trotzdem M. manche gute Beobachtung veröffentlicht hat, muß ich immer wieder zur Vorsicht mahnen. Seine ärztliche Tätigkeit diskreditiert die Psa. aufs Übelste. …«.
Lou Andreas-Salomé ließ sich trotzdem von den Marcinowskis anstellen, um im Sommer 1921 für mehrere Wochen (oder Monate?) »Psychoanalyse an Gemütskranken zu unternehmen«, wie sie ihrer Kusine schrieb – und dass es ihr »noch ein bischen spanisch vorkommt, in Stellung zu sein«[6].

Was aber war die Enttäuschung, die sie ein Jahr später konstatierte? Was hatte sich verändert?

In der Zwischenzeit hatte Marcinowskis Frau Auguste (Gustl) ihre Eltern und etliche ihrer Geschwister nach Heilbrunn geholt, und es kann sein, dass deren starke Frömmigkeit das gedeihliche Zusammenleben der Marcinowskis mit ihrer Patienten beeinflusste und die ursprüngliche Offenheit und gegenseitige therapeutische Befruchtung immer mehr eingeschränkte. In der Folgezeit entfernte sich Marcinowski immer weiter von der psychoanalytischen Gedankenwelt und beschäftigte sich mit parapsychologischen Experimenten und wandte sich dem Freimaurertum zu.

So konnte Andreas-Salomé am 24.9.2021 an Rainer Maria Rilke schreiben: »Im Sommer war ich in Stellung, in einem Sanatorium das mit Ps. A. arbeitet, aber es ergab eine üble Enttäuschung, hoffentlich ist's nicht überall so.« (RMR-LAS-Br 435) und auch Sigmund Freud vermeldete sie am 20.7.1921: »eine komplette Enttäuschung« (SF-LAS-Br 118).

Walter und Hedwig Ripke: Analysen für den Schulbetrieb (1925-1927)

Walter und Hedwig Ripke betrieben das Landschulheim Schloss Bischofstein.[1] Im April 1925 wandten sie sich an Sigmund Freud: Im Landschulheim gab es Probleme wegen Masturbation; das war ein auch oder insbesondere unter Psychonalytikern zu der Zeit viel diskutiertes Thema[2]. Freud – und auch Anna Freud – empfahlen den Ripkes, sich an Lou Andreas-Salomé in Göttingen zu wenden.

Der erste Kontakt fand am 18.4.1925 in Göttingen statt.[3] Die Idee war, dass die Leitung der Schule – also die beiden Ripkes und der Geschäftsführer – sich jeweils einer Analyse unterzogen, um die Schüler korrekt und ausreichend anleiten zu können.

Aufgrund des laufenden Schulbetriebs und der Entfernung von ca. 1,5 Autostunden war es jedoch nicht möglich, dass die Analysanden täglich in die Praxis nach Göttingen kamen, was das übliche Setting damals war. Nur in den Schulferien hatten sie die Möglichkeit dazu – und selbst das klappte nicht immer: »Du fragst nach Ripkes, die nutzen nun ihre Schulferien aus, indem sie 2 x wöchentlich, immer mit einer Nacht hier, herauto’n, also viermal Stunden haben; ganz hier wohnen können sie wegen dortiger Arbeiten nicht« (am 7.7.1925). 

Das ausgehandelte Arrangement sah vor, dass die Ripkes zu Schulzeiten zwei Mal in der Woche nach Göttingen kommen sollten: »sie können doch fast nur Sonnabend-Sonntags. Mittwoch kommt er noch her …« (am 26.4.1925). Daraufhin akzeptierte Andreas-Salomé, immer wieder mehrere Tage am Stück in Schloss Bischofstein zu verbringen: »da ich mehrmals die Woche Ripkes schon sehr früh habe (wegen des Schulbetriebs)« (am 13.12.1925). Sie musste jedoch ihre jeweiligen Göttinger Analysandinnen dorthin mitnehmen.

In Schloss Bischofstein durfte sie in einem romantischen kleinen Häuschen im Park wohnen, wo sie für sich allein sein konnte und wohin ihr sogar das Essen gebracht wurde, damit sie den Abstand von den Analysanden und den übrigen Bewohnern wahren konnte. Leider war ihr das nicht lange vergönnt, da es eine der beiden mitgekommenen Patientinnen in der zugewiesenen Unterkunft nicht aushielt, so dass Andreas-Salomé sie spontan zu sich ins Häuschen aufnahm. Das hatte zur Folge, dass sie überhaupt keine Zeit mehr für sich allein hatte und dass auch der Abstand zu dieser Patientin abhanden kam. Die Folge war zudem eine Überlastung ihrer Arbeitskraft, so dass sie sehr erschöpft und ausgelaugt war.

Die Analysen der beiden Ripkes dagegen kamen gut voran: »Meine Analysen hier lassen sich flott an, neurosenverdächtig ist besonders Frau R., während er das noch zu kaschieren strebt.« (an Anna Freud am 11.5.1925). Den Geschäftsführer fand sie allerdings »leer und normal … zurückgeblieben, unentwickelt«. Zudem ging es ihr gegen den Strich, dass dieser sich die Analyse von den Ripkes bezahlen ließ. Später ist jedenfalls nur noch von den beiden Ripkes die Rede, zu denen sich ein gutes persönliches Verhältnis entwickelt hat. Sie tauschte mit ihnen Aufsätze aus psychoanalytischen Zeitschriften aus und ließ sie am begehrten Kaffee ihres Mannes teilhaben. Auch über Karl Abrahams Tod im Dezember 1925 wurde besprochen, zumal da Frau Ripkes jüngere Schwester, Edith Vowinckel-Weigert, zu dieser Zeit in Berlin in Lehranalyse war und viele Einzelheiten berichten konnte (am 22.1.1926).

An Sigmund Freud schrieb sie am 3.5.1926: »Ich bin meinerseits praktisch noch mit den beiden R.s tätig. Wenn es da (neben der räumlichen Entfernung, die schwer überwindbar bleibt) eine Erschwerung bildet, daß Beide schon jenseits der 40 stehn, so ist es andrerseits unbedingt eine Mithilfe, mit reifen Menschen zu tun zu haben; es macht einen ganz andern Ernst des Eingehens aus, wenigstens auf diesem guten Niveau. Von Beiden herzliche Grüße an Sie!« (SF-LAS-Br 177)

Wann diese Analysen abgeschlossen waren, ist nicht exakt feststellbar. Das letzte Mal werden die Ripkes in einem Brief an Anna Freud vom Mai 1927 erwähnt (LAS-AF-Br 547).

Max Weber (1864–1920)

Eine direkte Begegnung zwischen Lou Andreas-Salomé und Max Weber, einem der Gründerväter der deutschen Soziologie, hat es nicht gegeben, wohl aber eine literarische Wahrnehmung. In den wenigen überlieferten Handexemplaren Max Webers findet sich das kleine Bändchen „Die Erotik“ (1910) von Lou Andreas-Salomé mit einer Randbemerkung von Max Webers Frau Marianne Weber (1870–1954), die eine bekannte Vertreterin der bürgerlichen Frauenbewegung war. Daneben finden sich Lesespuren, die von beiden stammen dürften.

Das Experimentieren mit erotisch unkonventionellen Lebensformen beschäftigte das Ehepaar Weber spätestens seit 1907, wo nähere Freunde, insbesondere unter dem Einfluss des Freud-Anhängers Otto Gross, die bürgerliche Ehe und Familie in Frage stellten und nach neuen Formen des Zusammenlebens suchten. Max Weber widmet der Erotik als einem eigenständigen Lebens- und Wertbereich mehrere Seiten in seiner berühmten „Zwischenbetrachtung“ (1915/20). Dort gibt es die stärksten Anklänge an die Ausführungen von Lou Andreas-Salomé: die Bestimmung der Erotik als dem „Werktag am alltäglichen Leben“ scheinbar „Entgegengesetztesten“ (Andreas-Salomé) bzw. als einer „außeralltäglichen Sphäre“ (Weber); die Behauptung einer inneren Verwandtschaft von „Kunsttrieb und Geschlechtstrieb“ (Andreas-Salomé) bzw. von Kunst und Erotik durch ihre Nähe „zum Zufälligen, Kreatürlichen, vom Sinn Ablenkenden“ (Weber) und schließlich – wo beide fast identische Formulierungen benutzen – das „Sublimieren des Sexuellen“ durch den Intellekt (Andreas-Salomé) bzw. die „Sublimierung“ der Sexualität im Zuge der „Rationalisierung und Intellektualisierung der Kultur“ (Weber).

(Von Edith Hanke, München)

Zum Faksimilie mit einer der Anstreichungen

Akim Wolynski (1861/1863-1926)

Vgl. seine Kurzbiografie auf der Seite Zeitgenossen

Im Jahr 1896 erschien in der Petersburger Monatszeitschrift „Sewerny Westnik“ die um einiges verkürzte Übersetzung der ersten zwei (von drei) Teilen Lou Andreas-Salomés Nietzsche-Monographie. Die Übersetzung war ein Auftrag von Akim Wolynski, dem Wortführer der Zeitschrift, der sich in der zweiten Hälfte der 1890er Jahre intensiv mit der Philosophie von Friedrich Nietzsche zu beschäftigen begann. Doch zu dem ersten Treffen zwischen der Schriftstellerin und der Redaktion des „Sewerny Westnik“ kam es höchstwahrscheinlich erst im Frühling 1897 in Sankt Petersburg.

Foto von 1897: Die Gartenlaube in Wolfratshausen

Für Lou Andreas-Salomé erwies sich Akim Wolynski als ein interessanter und anregender Gesprächs­partner. Die Schriftstellerin lud ihn für den Sommer 1897 nach Wolfratshausen ein. Aus dieser Zeit stammt das berühmte Gruppenfoto mit Frieda von Bülow, Rainer Maria Rilke, August Endell, Lou Andreas-Salomé und Akim Wolynski in der Gartenlaube der Lutz-Villa.

Die intensive Zusammenarbeit mit Akim Wolynski im Jahr 1897 schlug sich in Veröffentlichungen von Lou Andreas-Salomé nieder: In den Essays „Russische Dichtung und Kultur“ (Cosmopolis 1897), „Russische Philosophie und semitischer Geist“ (Die Zeit 1898) und „Das russische Heiligenbild und sein Dichter“ (Vossische Zeitung 1898) beruft sich Andreas-Salomé direkt auf Wolynski (alle Aufsätze in Bd. 3.2 Lebende Dichtung). 

Für den „Sewerny Westnik“ verfasste die Autorin wiederum Aufsätze zum Drama des Jüngsten Deutschland (1897) und zur zeitgenössischen Frauenliteratur in Österreich (1897) und Deutschland (1898). Auch eine erste Skizze der späteren Novelle „Amor“ erschien – mit beiden Namen versehen – in Sewerny Westnik (1897). Die nicht von LAS autorisierten Änderungen dieser Erzählung durch Wolynski sowie sein nicht gerade wohlwollendes Porträt der Autorin in seinem Leonardo-da-Vinci-Buch (1900, vorabgedruckt in Sewerny Westnik 1897-98), trugen vermutlich dazu bei, dass sich die Wege der beiden bald trennten. 

(von Grażyna Krupińska, siehe auch das Nachwort zu Bd. 17 Russische Texte)

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