Zeitgenossen

Karl Abraham

1877-1925, Arzt und Psychoanalytiker.
Er hatte 1907 während seiner Zeit an der Züricher Klinik Burghölzli von der Psychoanalyse erfahren und war 1910 Gründungsmitglied der Ortsgruppe Berlin der Internationalen Psychoanalytischen Vereinigung, der er über 15 Jahre als Präsident vorstand. Seine Forschungsschwerpunkte waren die verschiedenen Entwicklungsstadien der menschlichen Psyche und die Psychodynamik der Psychosen. Er bemühte sich unter seinen Mediziner-Kollegen um eine breitere Anerkennung der Psychoanalyse und war in den 20er Jahren auch für eine Dozentur an der Universität Berlin vorgeschlagen.

Peter Altenberg

eig. Richard Engländer, 1859-1919, Schriftsteller.

Nach abgebrochenem Jura- und Medizinstudium und mehreren Versuchen der Berufstätigkeit lebte er im Wiener Hotel London als freier Schriftsteller. Die erste Sammlung seiner impressionistischen Prosakleinkunst erschien 1896 unter dem Titel »Wie ich es sehe«. In lockerer Form, aber dichter Sprachgestaltung, skizzierte er Szenen aus dem Wiener Leben, die er intensiv umformte als Erlebniswerte. Als dem Jugendstil zugehörig weist ihn auch seine Sinnlichkeit aus: »Er ist das stärkste erotische Talent, das jemals in deutscher Druckerschwärze Spuren eines Erdenwandels hinterlassen hat.« (Alfred Polgar, zit. nach Kosler 1981, S. 54)

Friedrich Carl Andreas

1846-1930, Professor für Orientalistik in Göttingen; Ehemann von Lou Andreas-Salomé.
Er wurde am 14.3.1846 in Batavia, Niederländisch-Indien (heute Jakarta, Indonesien) geboren. Seine Mutter war die Tochter eines norddeutschen Arztes, der auf Java eine Malaiin geheiratet hatte; sein Vater war ein armenischer Fürst, der einem alten Brauch entsprechend nach einer verlorenen Geschlechterfehde den Familiennamen Bagratuni abgelegt und stattdessen den Vornamen Andreas angenommen hatte. Als Friedrich Carl sechs Jahre alt war, zog die Familie nach Hamburg, wo der Junge eine Privatschule besuchte. Mit vierzehn Jahren kam er auf ein Gymnasium in Genf und entdeckte seine große Sprachbegabung. Dieser Neigung gab er nach und studierte in Halle, Erlangen, Göttingen und Leipzig Orientalistik, speziell Iranistik, und außerdem klassische Philologie und Philosophie. 1868 erhielt er in Erlangen für seine »Beiträge zu einer genaueren Kenntnis des mittelpersischen (Pahlavi-)Schrift- und Lautsystems« den Doktortitel. Anschließend ging er zu weiteren Studien nach Kopenhagen; er lernte dort unter anderem Georg Brandes kennen, der ihn mit den nordischen Sprachen und der skandinavischen Literatur vertraut machte. 1870 wurde Andreas zum Militär einberufen und nahm 1871 an der Schlacht bei Le Mans teil. Nach dem Krieg ging er nach Kiel, wiederum zu Studienzwecken. 1874 bekam er vom Preußischen Kulturministerium die Genehmigung, als epigraphischer Begleiter an einer astronomischen Expedition nach Persien teilzunehmen, wo er nach großen Schwierigkeiten – Beschaffung von Geldmitteln und Erkrankung an Cholera – erst Anfang 1876 eintraf. Andreas blieb fast sieben Jahre in Persien, obwohl die Expedition schon 1876 abgebrochen worden war und kein Geld mehr zur Verfügung stand. Um seine Studien an Ort und Stelle fortsetzen und seinen Einblick in die persische Kultur und das orientalische Leben vertiefen zu können, schlug er sich mit Sprachunterricht und diversen anderen Tätigkeiten durch (so war er zwischenzeitlich auch Generalpostmeister). Sein großes Wissen und seine eindrucksvolle Persönlichkeit verschafften ihm auch Zugang zum persischen Königshof; er wurde zu einem Vertrauten des Prinzen Ihtisam-el-Daule. Als Reisebegleiter des Prinzen traf Andreas im Januar 1882 wieder in Berlin ein. Er hatte seine Gesundheit in Persien ruiniert und brach jetzt völlig zusammen. Durch das Arbeiten im grellen Sonnenlicht hatte er sich ein Augenleiden zugezogen und so konnte er erst Ende des Jahres seine wissenschaftlichen Forschungen wieder aufnehmen. Inzwischen war er vollkommen mittellos; er, der angesehene Gelehrte, mußte seinen Lebensunterhalt erneut mit Sprachstunden mühsam finanzieren. Erst 1887 fand er eine seinen umfassenden Kenntnissen adäquate Stellung und wurde zum Professor für Persisch, bald auch für Türkisch, an das neugegründete Seminar für Orientalische Sprachen in Berlin berufen. Jedoch bereits zwei Jahre später mußte er, zum Opfer von Intrigen geworden, diese Tätigkeit wieder aufgeben. Basis für die Intrigen – und auch für spätere Verleumdungen neidischer Kollegen – war Andreas Scheu, seine wissenschaftlichen Erkenntnisse schriftlich zu fixieren. Dies lag zum einen daran, daß er kein Ende finden konnte und allen neuen Aspekten, die sich aus bereits gelösten Problemen ergaben, nachspürte. Zum anderen konnte er oft die Beweisführung in der gewünschten Form nicht liefern, da für ihn aufgrund seiner großen intuitiven Begabung viele Zusammenhänge ohne weiteres evident waren – ohne daß dies stringent wissenschaftlich zu dokumentieren war. Diese unverknöcherte Vorgehensweise, seine »heitere Ehrgeizlosigkeit« und die »mangelnde Ruhmgier nach außen« bewahrten ihm andererseits eine große innere Freiheit und vermittelten den Eindruck »königlichster Souveränität« (LRB S.190). So haben eigentlich nur seine direkten Schüler, die er mit großer persönlicher Zuwendung betreute, von seinem immensen Wissen profitiert.

Hermann Bang

1857-1912, dänischer Journalist und Schriftsteller.
Er wollte eigentlich Schauspieler werden, arbeitete dann aber als Journalist und Schriftsteller. Sein Erstlingswerk »Hoffnungslose Geschlechter« (1. Fassung 1880) trägt stark autobiographische Züge. Bang gilt als der bedeutendste Vertreter des dänischen Impressionismus.

Richard Beer-Hofmann

1866-1945, Schriftsteller.

Nach seiner Promotion in Jura lebte er als freier Schriftsteller; nach ersten Novellen trat er 1900 mit seinem lyrischen Roman »Der Tod Georgs« hervor, in dem er sich in Rhythmus und Klang der Bildhaftigkeit Hofmannsthalscher Sprache annäherte und die Handlung fast völlig in Stimmungen, Träume und Reflexionen auflöste. Mit einem Schlage bekannt machte ihn 1899 sein Gedicht »Schlaflied für Mirjam«, von dem auch Lou Andreas-Salomé in ihrem Roman »Ma« zwei Strophen zitiert.

Poul Bjerre

1876-1964, schwedischer Arzt und Psychoanalytiker.

Er war wohl der erste Vertreter der Psychoanalyse in Schweden. Mit seinem anthropologischen Ansatz wandte er sich später der Jungschen Analyse zu, deren Libido-Theorie ihn begeisterte.

Wilhelm Bölsche

1861-1939, Schriftsteller.
Seine »Naturwissenschaftlichen Grundlagen der Poesie« (1887) machten ihn zum Theoretiker des Berliner Naturalismus. Er war Mitbegründer der »Freien Volksbühne« und zeitweiliger Redakteur der »Freien Bühne«; später widmete er sich als populärwissenschaftlicher Schriftsteller den unterschiedlichsten Themen der Kunst- und Naturwissenschaft und Philosophie. Berühmt wurde sein dreibändiges Werk »Das Liebesleben in der Natur« (1898-1920), dessen ersten Band Lou Andreas-Salomé 1898 in Maximilian Hardens »Zukunft« besprach.

Zur Begegnung mit Wilhelm Bölsche

Otto Brahm

eig. Abrahamson, 1856-1912, Literaturhistoriker, Regisseur und Theaterkritiker.

Er war Mitbegründer und Leiter der »Freien Bühne« und ab 1890 auch Redakteur der gleichnamigen Zeitschrift, die ab 1894 »Neue Deutsche Rundschau« und ab 1904 »Neue Rundschau« hieß (in der Lou Andreas-Salomé einiges publizierte); 1894 übernahm er das Deutsche Theater.

Georg Brandes

eig. Cohen, 1842-1927, dänischer Literaturhistoriker.

Er war Schüler Hippolyte Taines und wurde zum Wegbereiter des Naturalismus in der dänischen Literatur. Er hielt als erster Vorlesungen über Nietzsche; für seine Nietzsche-Kenntnis dürfte die Vermittlung von Lou von Salomé entscheidend gewesen sein (vgl. Paul 1985, S. 219).

Oskar Bruns

1878-1946, Arzt, Professor in Königsberg.

Seit 1918 Leiter der Medizinischen Universitäts-Poliklinik in Göttingen, ab 1920 a. o. Professor und ab 1922 Direktor der Medizinischen Poliklinik in Königsberg. 
Lou Andreas-Salomé war mit ihm und seiner Familie bekannt – nicht zuletzt hat sich Andreas-Salomé mit einem seiner Kinder beschäftigt: »3 Kinder deren jüngstes das Bübchen aus meinem Narzißmusaufsatz ist« (an Anna Freud am 11.4.1922), und auch eine Bekannte seiner Frau war bei ihr in Analyse (dto. am 23.10.1922).
Einmal hat sogar Anna Freud bei den Bruns gewohnt (während ihres ersten Aufenthalts in Göttingen vom 25.4. bis 4.5.1922): »Du wohnst … bei Freunden [im Nikolausberger Weg 61]; der Mann Arzt (Prof. Bruns) ist gerade nach Königsberg versetzt worden, die Frau die erst im Herbst folgt, ein herzlicher und kluger Mensch hat dadurch viel Raum« (am 11.4.1922).

Zu Begegnungen

Constantin Brunner

1862-1937, Philosoph, Gesellschaftskritiker und Lebensreformer

Constantin Brunner war zu Lebzeiten ein bekannter und umstrittener Philosoph, Gesellschaftskritiker und Lebensreformer. In seiner Philosophie, die er vor allem in seiner 1908 erschienenen »Lehre von den Geistigen und vom Volk« formulierte, ging es Brunner vor allem um den lebenspraktischen Sinn. Damit zog er das Interesse einer Reihe von Intellektuellen, KünstlerInnen und Jugendbewegten auf sich. Die umfangreiche Korrespondenz mit Persönlichkeiten wie z.B. Walter Rathenau, Lou Andreas-Salomé, Gustav Landauer, Martin Buber, Leo Berg, Rose Ausländer zeugt davon.
Brunner nahm ausgehend von seinen philosophisch-theoretischen Schriften, in denen er erkenntnis- und wissenschaftstheoretische, naturwissenschaftliche und psychologische Fragen erörterte, auch sehr ausführlich zu zentralen politischen, kulturellen, sozialen und theologischen Debatten seiner Zeit Stellung; u.a. hat er in seinem Buch »Liebe, Ehe, Mann und Weib« an einer Stelle explizit und an vielen anderen ungekennzeichnet auf die erotischen Schriften von Lou Andreas-Salomé reagiert.
Einen Schwerpunkt seiner Arbeiten nach dem ersten Weltkrieg, bildete der Judenhass, den er zu verstehen und zu überwinden suchte. Brunner wandte sich nicht nur gegen den Nationalsozialismus und Kommunismus, sondern auch gegen den Zionismus. Große Aufmerksamkeit fand »Unser Christus oder das Wesen des Genies« (Berlin, 1921). 
1933 flüchtete er, als Jude und früher Gegner des NS-Regimes bedroht nach Den Haag. Seine Bücher wurden verboten und verbrannt, alle „Brunner-Kreise“ wurden zerschlagen, Brunner selbst weitgehend vergessen. Seine Lehren wurden nach dem 2. Weltkrieg von AnhängerInnen v.a. rund um das Internationaal Constantin Brunner Instituut  in Den Haag weitergedacht und diskutiert. Erst seit wenigen Jahren findet sein Werk in verschiedenen Disziplinen wieder Aufmerksamkeit, sein gesamter Nachlass wird in zwei Forschungsprojekten betreut. Teilnachlässe werden zur Zeit in einer Depandance des Leo Baeck Institutes im Jüdischen Museum digitalisiert und der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. (Claudia Weinzierl)

zu Begegnungen

Frederike (Frieda) Sophie Louise Freiin von Bülow

1857-1909, Schriftstellerin.

Sie wurde am 12. Oktober 1857 in Berlin geboren. Ihre Mutter Clothilde stammte aus dem Adelsgeschlecht der Münchhausen; ihr Vater, Hugo Freiherr von Bülow, war Jurist. Einen Teil ihrer Kindheit verbrachte Frieda in Izmir (Türkei; früher: Smyrna), wohin ihr Vater als Leiter des deutschen Konsulats versetzt worden war; später lebte sie mit ihrer Mutter und den jüngeren Geschwistern (Sophie, Margarete, Albrecht und Kuno) in der pietistischen Herrnhuter Brüdergemeinde in Thüringen. Die Töchter besuchten die dazugehörige Mädchenschule; Frieda und Margarete waren seit dieser Zeit unzertrennlich. Nach dem Besuch eines Mädchenpensionats in England ging Frieda auf das Lehrerinnenseminar der gemäßigten Frauenrechtlerin Helene Lange. Ihren Beruf übte sie jedoch nur ein Jahr aus. Als 1884 die über alles geliebte Margarete, die eine ausgeprägte dichterische Begabung besaß, bei der Rettung eines im Eis eingebrochenen Kindes ertrank, begann Frieda unter schweren Depressionen zu leiden. Erst die Entwicklung der deutschen Kolonialpolitik weckte neue Energien in ihr. Sie lernte den Eroberer von Deutsch-Ostafrika, Carl Peters (1856-1918), kennen und verliebte sich in ihn. Im Mai 1887 ging sie nach Deutsch-Ostafrika (heute Tansania). Dort gründete sie zwei Krankenstationen und verlebte mit Carl Peters die schönste Zeit ihrer Liebe, bis sie 1888 ein schweres Malariafieber zur Rückkehr nach Deutschland zwang. Hier brachte sie ihre Erlebnisse zu Papier und führte somit den Kolonialroman in die deutsche Literatur ein. Mit diesen damals brandaktuellen Schilderungen machte sie sich sehr schnell einen Namen. Ihre Schriftstellertätigkeit wurde nun für sie die Existenzgrundlage und umfaßte später auch Rezensionen und Kritiken; in Novellen- und Romanform thematisierte sie vor allem das Problem der Frauenemanzipation.

Richard Dehmel

1863-1920, Schriftsteller.

Er arbeitete als Sekretär bei einer Versicherungsgesellschaft, ab 1895 als freier Schriftsteller. Gemeinsam mit Karl Ludwig Schleich, Otto Julius Bierbaum, den Brüdern Hart und August Strindberg gehörte er zur Tafelrunde im »Schwarzen Ferkel«. Er zählte zu den einfluß- und erfolgreichsten Lyrikern der Jahrhundertwende: Von Nietzsche beeindruckt kam er vom Impressionismus in seinen Gedichten zu einem pathetisch betonten, sozialen Naturalismus.

Hans Delbrück

1848-1929, Historiker, Professor in Berlin.

Zwischen 1883 und 1919 gab er die »Preußischen Jahrbücher« heraus. In seinen grundlegenden kriegsgeschichtlichen Forschungen (»Geschichte der Kriegskunst im Rahmen der politischen Geschichte«) unterschied er zwischen Ermattungsstrategie (Friedrich der Große) und Niederwerfungsstrategie (Napoleon I.). 1882 erschien sein Werk »Das Leben des Feldmarschalls Grafen Neithart von Gneisenau«; das Exemplar, das er im gleichen Jahr Lou von Salomé schenkte, enthält die Widmung: »Wenn nicht zum Lesen – doch zum Andenken« (LRB S. 249).

Ellen Delp

geb. Schachian, verh. Krafft-Delp, 1890-1990, Schriftstellerin und Schauspielerin.

Sie hatte Germanistik studiert, und auf Lou Andreas-Salomés Vermittlung hin zogen Max Reinhardt und Gerhart Hauptmann sie später als künstlerisch-literarische Beraterin hinzu. Sie übernahm aber auch selbst Rollen, u.a. das Hannele in Gerhard Hauptmanns »Hanneles Himmelfahrt« – zur Freude Lous, die dieses Stück ganz besonders liebte.

Paul Deussen

1845-1916, Philosoph.

Seit dem Besuch von Schulpforta war er mit Nietzsche befreundet. Er beschäftigte sich mit Übersetzung und Darstellung der indischen Philosophie, die er mit der Philosophie Schopenhauers zu einer Metaphysik zu vereinigen suchte; 1883 arbeitete er gerade an seinem »System der Vedânta«. Er ist der Herausgeber der großen Schopenhauer-Ausgabe (1919ff).

Hermann Ebbinghaus

1850-1909, Psychologe und Professor.

Er befaßte sich u.a. mit Lern- und Gedächtnisvorgängen (»Über das Gedächtnis«, 1885). Anhand zahlreicher Tests (Erlernen von neutralen, sinnlosen Silben) hielt er in der »Ebbinghaus-Kurve« das Tempo des Vergessens fest (Gelerntes wird zunächst schnell, dann immer langsamer vergessen). Der »Ebbinghaus-Test« (»Lückentest«) ist ein von ihm eingeführter Intelligenztest, bei dem ein zusammenhängender, aber lückenhafter Text sinnvoll ergänzt werden muß. Ab 1894 war er Professor in Halle und Breslau; er ist Mitbegründer der experimentellen Psychologie.

Max Eitingon

1881-1943, Psychoanalytiker.

Er kam zusammen mit Karl Abraham über die Züricher Nervenheilanstalt Burghölzli, wo C.G. Jung und Eugen Bleuler praktizierten, zur Psychoanalyse. 1909 siedelte er mit Abraham nach Berlin über und war eines der Gründungsmitglieder der Berliner Ortsgruppe der Internationalen Psychoanalytischen Vereinigung. Obwohl wissenschaftlich nicht aktiv und nur wenige Patienten selbst behandelnd, leistete er der psychoanalytischen Bewegung als Organisator, Lehrer und Mäzen unschätzbare Dienste. 1920 gründete er zusammen mit Ernst Simmel die psychoanalytische Poliklinik und Lehranstalt. Zusammen mit seiner Frau wanderte er während der Nazi-Zeit nach Israel aus.

August Endell

1871-1925, Philosoph, Architekt, Kunstgewerbler und Schriftsteller.

In München erhielt er wertvolle Anregungen von Hermann Obrist, im wesentlichen war er Autodidakt. 1896 hatte er eine kleine Schrift »Über die Schönheit« veröffentlicht, nach deren Lektüre sich Lou Andreas-Salomé – vermutlich im Herbst 1896 – an ihn gewandt hatte. Er gilt als der bedeutendste Architekt des Jugendstils.

Sándor Ferenczi

1873-1933, Psychoanalytiker.

Er beschäftigte sich seit 1907 mit der Psychoanalyse und war der bedeutendste Psychoanalytiker in Ungarn. Einer seiner klassisch gewordenen Essays ist »Entwicklungsstufen des Wirklichkeitssinnes« (1913); er stellt die erste psychoanalytische Arbeit über die Entwicklung des Ich dar. Seine Arbeiten gehen zumeist von ganz alltäglichen klinischen Beobachtungen aus, wie sie jedem Analytiker wohlbekannt sind, aber gerade wegen dieser Häufigkeit der Aufmerksamkeit und richtigen Bewertung entgehen. Diese Beobachtungsgabe führte ihn zur »aktiven Therapie«, die über die in der Psychoanalyse übliche Auswertung der verbalen Äußerungen des Patienten hinaus auch die nonverbalen Reaktionen berücksichtigt und in die Übertragungssituation miteinbezieht: »Zur psychoanalytischen Technik« (1918). Nach dem Ersten Weltkrieg erhielt er 1919 einen psychoanalytischen Lehrstuhl – den ersten in der Geschichte der Psychoanalyse –, der dann allerdings in der ungarischen Räterepublik unterging.

Arne Garborg

eig. Aadne Eivindsson Garborg, 1851-1924, norwegischer Schriftsteller.

Nach der Veröffentlichung seines Romans »Mannfolk« 1887 (dt. »Aus der Männerwelt«) zählte Garborg zu den wichtigsten skandinavischen Schriftstellern. 1890/91 lebte er für einige Zeit in Berlin und Friedrichshagen, wo er schnell Anschluss an die naturalistische Bewegung und ihre Hauptvertreter fand. Seine literarischen Arbeiten (vor allem »Bei Mama«, »Müde Seelen« und »Frieden«) beeinflussten zahlreiche deutsche Autoren.

zu Begegnungen

Viktor-Emil von Gebsattel

1883-1976, Arzt, Professor für anthropologische Medizin.

Er hatte Jura und Philosophie studiert und auf zahllosen Reisen die bedeutendsten Künstler seiner Zeit kennengelernt. Dann erfuhr er von der Psychoanalyse und absolvierte seine Ausbildung bald darauf bei Leonhard Seif in München. Am 31.5.1911 hielt er in der Ortsgruppe München der Psychoanalytischen Vereinigung den Vortrag »Perversion des Geltungsstrebens und ihre exhibitionistische Wurzel«. Ungefähr zu gleicher Zeit hatte er aufs Neue zu studieren begonnen – Medizin – und spezialisierte sich auf Neurologie. Ab 1924 hatte er die Leitung der Kuranstalten Westend bei Berlin, und 1926 gründete er seine eigene Klinik, die er während des dritten Reiches auch Juden und Euthanasiepatienten offenhielt. 1938 mußte er die Klinik schließen. Wesentlicher Bestandteil seines Denkens ist der anthropologische Ansatz, der auch bei Lou Andreas-Salomé eine Rolle spielt.

Simon Glücklich

geb. 1863, Maler.

Er studierte an der Wiener Akademie und war seit 1899 in München ansässig. Anfänglich der Genremalerei verpflichtet, malte er später auch Landschaften, Akte und Portraits; Kaiser Franz Joseph kaufte sein erstes Bild »Kinderquartett«. Das Portrait von Lou Andreas-Salomé befand sich im Besitz von Maria Apel in Göttingen.

Max Halbe

1865-1944, Schriftsteller.

Er war von Ibsen und Hauptmann beeinflußt und hatte mit dem naturalistischen Drama »Jugend« seinen größten Erfolg. Später wichen die sozialkritischen Aspekte seiner Dichtung neuromantischen Zügen, die sie der »Heimatkunst« annäherten, so daß er auch den Nationalsozialisten genehm war.

Ludwig Haller

gest. 1888, Philosoph.

Sein Werk »Alles in Allem. Metalogik, Metaphysik, Metapsychik« wurde in seinem Todesjahr 1888 veröffentlicht.

Knut Hamsun

eig. Pedersen, 1859-1952, Schriftsteller.

Nach seinem Wanderleben in Amerika, wo er unter anderem als Hilfslehrer, Ladenjunge und Straßenbahnschaffner gearbeitet hatte, veröffentlichte er 1888 Teile seines ersten Romans »Hunger« und erregte einiges Aufsehen. Moderne Stilmittel (innerer Monolog, erlebte Rede) weisen ihn als Vorläufer von Marcel Proust und James Joyce aus; 1920 erhielt er den Nobelpreis.

Maximilian Harden

eig. Witkowski, 1861-1927, Publizist.

Nachdem er ab 1888 unter anderem im »Berliner Tageblatt« veröffentlicht hatte, gründete er – ein glänzender Stilist und Essayist – 1892 die politische Wochenzeitschrift »Die Zukunft« (in der auch Lou Andreas Salomé einige Aufsätze veröffentlichte). Harden war Mitbegründer der »Freien Bühne« und ab 1905 auch Förderer und Berater Max Reinhardts.

Julius und Heinrich Hart

1859-1930 bzw. 1855-1906, Redakteure und Kritiker.

Sie gaben literaturprogrammatische Zeitschriften und Jahrbücher heraus, so 1882-1886 die »Kritischen Waffengänge«, die sie als Vorkämpfer des Naturalismus etablierten.

Gerhart Hauptmann

1861-1946, Schriftsteller.

Er ist der bedeutendste Schriftsteller des deutschen Naturalismus. 1889 wurde in der »Freien Bühne« sein Drama »Vor Sonnenaufgang« uraufgeführt, das – obwohl von Theodor Fontane gerühmt – zum Theaterskandal wurde und Hauptmann über Nacht ebenso berühmt wie umstritten machte.

Hugo von Hofmannsthal

1874-1929, Schriftsteller.

Er hatte Jura studiert, später Romanistik. Bereits mit 17 Jahren hatte er sich unter dem Pseudonym Loris mit seinem kleinen, schwermütig-nachdenklichen Erstlingsdrama »Gestern« wirkungsvoll bei der literarischen Avantgarde Wiens eingeführt. Das impressionistische Jugendwerk des Frühreifen thematisiert in lyrisch-magischer Sprache vor allem das Verhältnis von Kunst und Leben und betreibt eine ästhetisierende Weltschau im Bewußsein der Todesverfallenheit. Die im »Chandos-Brief« (»Ein Brief«, 1902) geäußerte Sprachskepsis – als Manifest einer Bewußtseinskrise, einer Krise im Verhältnis von Ich und Umwelt symptomatisch für die Jahrhundertwende – bedeutete eine Abwendung von der Wortmagie seiner Jugendwerke. Sein späteres Schaffen ist gekennzeichnet durch eine Abkehr von der egozentrischen Weltsicht und der Hinwendung zu zwischenmenschlicher Kommunikation im weitesten Sinne.

Arno Holz

1863-1929, Schriftsteller.

Er war zuerst Redakteur, dann freier Schriftsteller, Mitglied des Naturalistenvereins »Durch!« und Schriftleiter der »Freien Bühne«. Seine theoretischen Schriften – von Emile Zola beeinflußt und ihn in der Radikalität übertreffend – weisen ihn als Begründer des konsequenten Naturalismus in Deutschland aus. Seit 1888/89 war er befreundet mit Johannes Schlaf; aus ihrer Zusammenarbeit gingen naturalistische Musterwerke hervor, so daß z.B. das Drama »Die Familie Selicke« (1890) oder die Prosaskizze »Papa Hamlet« (1889), in der der sogenannte Sekundenstil entwickelt wurde.

Ellen Key

1849-1926, schwedische Pädagogin, Lehrerin und Schriftstellerin.

Sie hatte mit ihrem 1902 erschienen Buch »Das Jahrhundert des Kindes« einiges Aufsehen erregt: Mit einem Nietzsche-Wort als Motto: »An euren Kindern sollt ihr gutmachen, daß ihr eurer Väter Kinder seid«, forderte sie die Möglichkeit zu individueller Selbstverwirklichung schon des kleinen Kindes, die einhergehen müsse mit einer Veränderung der sozialen Verhältnisse.

Helene Klingenberg

geb. von Klot-Heydenfeldt, 1865-1943.

Sie stammte aus dem Baltikum und war seit 1897 mit dem Architekten Otto Klingenberg verheiratet. Sie hatte zwei Kinder: Reinhold und Gerda (geb. 1903).

Broncia Koller

geb. Pineles, 1863-1934, Malerin.

Sie hatte in Wien und München studiert. An einer Kunstausstellung im Münchner Glaspalast 1893 beteiligt, hatte sie mit ihrem Bild »Adagio« einen ersten Erfolg. Das Bild soll sich später im Besitz Sigmund Freuds befunden haben. Sie gehört zum Kreis der Wiener Secession um Gustav Klimt.

Zu Begegnungen (Broncia Koller)
Zur Begegnungen (Hallein)

Albert Langen

1869-1909, Verleger.

1893 hatte er den Verlag Albert Langen in Paris gegründet, mit dem er dann nach Leipzig und schließlich nach Zürich umsiedelte. Vor allem bei der Verbreitung der skandinavischen Literatur in Deutschland (Hamsun, Björnson Lagerlöf) erwarb er sich große Verdienste. Er war u.a. Verleger von Frank Wedekind und Ludwig Thoma.

Georg Ledebour

1850-1947, Politiker.

Er wurde als Sohn eines Beamten in Hannover geboren; bereits im Alter von zehn Jahren verlor er beide Eltern. Als Kind war er an einer Knochentuberkulose erkrankt, die falsch behandelt wurde, so daß er zeitlebens ein lahmes Bein behielt. »In religiöser Hinsicht war er von Haus aus ein Freidenker« (Siemsen 1954, S. 18). Nachdem sein Wunsch, Jura zu studieren, an den fehlenden finanziellen Mitteln gescheitert war, wurde er – widerstrebend – Kaufmann. Nach dem Krieg von 1870, an dem er als Sanitäter teilgenommen hatte, kehrte er nicht mehr in den erlernten Beruf zurück, sondern begann, als Journalist zu arbeiten; zuerst für einige Jahre in England, wo er sich eine gute Kenntnis des englischen Parlamentarismus erwarb. Nach seiner Rückkehr 1882 begann er, sich auch in Deutschland politisch zu betätigen: Er schloß sich 1891 den Sozialdemokraten an und wurde 1900 Mitglied des Reichstages, wo er als glänzender Redner hervortrat. Diese Eloquenz trug dazu bei, daß er wegen Majestätsbeleidigung ins Gefängnis mußte. Seinen außerparlamentarischen Wirkungskreis sah er in den Reihen der Arbeiter: Mit ihnen führte er Diskussionsabende durch – eine unpopuläre und unbezahlte Aufgabe, an der er aber über vierzig Jahre lang festhielt. Auch Lou Andreas-Salomé begleitete ihn manchmal zu solchen Veranstaltungen. Kurz nach dem Bruch mit Lou Andreas-Salomé lernte Georg Ledebour in den von ihm geleiteten Abendkursen eine um 17 Jahre jüngere Frau kennen, die er drei Jahre später heiratete und die ihm treu und aufopfernd bis in sein hohes Alter hinein zur Seite stand. Politisch blieb er weiterhin ein engagierter Sozialist. Er stimmte gegen die Kriegskredite im Ersten Weltkrieg und nahm 1919 am kommunistischen Aufstand in Berlin teil. Nach zweijähriger Pause war er von 1920-1924 wieder im Reichstag und schloß sich 1931 der Sozialistischen Arbeiterpartei an. Vor dem Terror Hitlers floh er 1933 in die Schweiz, wo er 97jährig starb.

Johannes Jaroslaw Marcinowski

1868-1935, Arzt.

Er betrieb von 1907 bis Februar 1919 das Sanatorium Haus Sielbeck am Uklei-See, wo er bereits die Psychoanalyse als stationäre Behandlungsmethode einsetzte. Ab 1910 trat er in der Psychoanalytischen Bewegung in Erscheinung, seine Aktivitäten wurden jedoch durchaus kritisch gesehen. In Heilbrunn bei Bad Tölz baute er ein neues Sanatorium auf, in dem Lou Andreas-Salomé im Juni 1920 und im Sommer 1921 hospitierte bzw. mitarbeitete. Anfangs betrachtete sie den Ansatz, dass die Patienten und das ärztliche Personal miteinander lebten, sehr euphorisch, als jedoch die Praxis ins Religiöse abdriftete, sah sie ihr Engagement als gescheitert an.
Er war als Deutscher Mitglied der Wiener Psychoanalytischen Vereinigung (1919-1925). 

Fritz Mauthner

1849-1923, Journalist und Sprachforscher.

Als Feuilleton-Redakteur und Theaterkritiker beim »Berliner Tageblatt« nahm er regen Anteil an der naturalistischen Bewegung und war Mitbegründer der »Freien Bühne«; später widmete er sich – neben literarischen Parodien (»Nach berühmten Mustern«, 1897) – vor allem philosophischen Arbeiten (»Beiträge zu einer Kritik der Sprache«, 1901/02).

Malwida von Meysenbug

1816-1903, Schriftstellerin und Vorkämpferin für Frauenrechte.

Sie wuchs als Tochter eines kurhessischen Ministers in einem streng protestantischen, adelsstolzen Elternhaus in Kassel auf. Da sie keinen umfassenden Schulunterricht erhalten hatte, bildete sie sich durch umfangreiche Lektüre selbst weiter. Ihr religiöser Skeptizismus und ihre politische Einstellung entfremdeten sie mehr und mehr ihrem Elternhaus. Sie kam sehr bald mit den Problemen der Frauenemanzipation in Berührung; im Zuge ihrer Bestrebungen, die Frauen aus den engen gesellschaftlichen Grenzen zu befreien und deren Recht auf Bildung zu untermauern, unterrichtete Malwida von Meysenbug – nachdem ihre Verlobung mit dem freireligiösen Demokraten Theodor Althaus gelöst worden war – an der Hamburger Frauenhochschule. Um einer Verhaftung zu entgehen – 1848 war sie in die revolutionären Vorgänge verwickelt gewesen – floh sie nach London, der damaligen Emigrantenhochburg. Hier lebte sie bis 1862, arbeitete als Hauslehrerin und betätigte sich schriftstellerisch. Sie lernte den russischen revolutionären Schriftsteller Alexander Herzen kennen, dessen Tochter Olga sie nach seinem Tod adoptierte. Von den geistigen Größen der Zeit standen ihr viele nahe, so machte sie Bekanntschaft oder korrespondierte mit Carl Schurz und Gottfried Kinkel, Garibaldi, Manzini und auch Richard Wagner, der in ihr eine treue Verehrerin fand. Bei der Grundsteinlegung des Bayreuther Festspielhauses 1872 lernte sie Nietzsche kennen, zu dem sie bald in mütterlich-freundschaftlichem Verhältnis stand. Nachdem sie sich in Italien niedergelassen hatte, lud sie den kranken Nietzsche 1876 für Herbst und Winter zu einem Erholungsurlaub nach Sorrent ein. Nietzsche brachte den Philosophen Pau Rée und den Jura-Studenten Albert Brenner mit, denen Malwida in ihrer gütigen Art ebenfalls sehr zugetan war. Besonders für Paul Rée empfand sie tiefe Sympathie.

Johanna Niemann

1844-1917, Lehrerin und Schriftstellerin.

Frieda von Bülow und Johanna Niemann haben sich vermutlich über Friedrich Lange kennengelernt, den damaligen Redakteur der »Täglichen Rundschau«: In diesem Blatt hatten sowohl Johanna Niemann als auch Margarethe von Bülow Erzählungen veröffentlicht; außerdem diente das Feuilleton der Zeitung Frieda von Bülows Geliebtem Carl Peters als Sprachrohr. Wie und durch wen die Bekanntschaft Lou Andreas-Salomés mit Johanna Niemann zustande kam, ist unbekannt.

Friedrich Pineles

1868-1936, Arzt.

Er kam als Sohn eines jüdischen Bauunternehmers in Galizien zur Welt. 1870 siedelte das Ehepaar Pineles mit seinen fünf Kindern nach Wien über und kaufte das Gut Oberwaltersdorf bei Wien. Friedrich Pineles studierte Medizin in Wien, wo er 1892 promovierte. Von 1892-1899 arbeitete er als Assistenzarzt am Allgemeinen Krankenhaus in Wien, 1902 habilitierte er sich in Innerer Medizin (ab 1912 Titel Professor). Er veröffentlichte über »Die Beziehungen der Akromelagie zum Myxodem und zu anderen Blutdrüsenerkrankungen«, »Über die Funktion der Epithelkörperchen«, »Nervenkrankheiten und innere Sekretion«. Im Nachlaß von Lou Andreas-Salomé befinden sich noch Arbeiten von ihm mit den Titeln »Zur Pathogenese der Tetanie« und »Diagnostische Wandlungen der Medizin«.

Otto Rank

eig. Rosenfeld, 1884-1939, Psychoanalytiker.

Er war einer der wenigen Nicht-Ärzte in der Psychoanalytischen Bewegung und der erste Laienanalytiker, der zur Behandlung von Patienten zugelassen wurde. Er war ein kreativ begabter Mensch und befaßte sich, schon bevor er die Psychoanalyse 1906 kennengelernt hatte, mit der Psychologie des Künstlers: »Der Künstler« (1903/04 verfaßt). Zwischen Otto Rank und Sigmund Freud entstand schnell ein sehr enges Verhältnis. Von 1906 bis 1915 war Otto Rank Sekretär der Wiener Psychoanalytischen Vereinigung, und in dieser Eigenschaft protokollierte er auch die Mittwoch-Sitzungen der Vereinigung. Er war Mitherausgeber der Zeitschrift »Imago« und der »Internationalen Zeitschrift für Psychoanalyse«. Sein Hauptforschungsgebiet lag im Bereich der Literatur: »Das Inzestmotiv in Sage und Dichtung« (1912). Als er 1924 »Das Trauma der Geburt« veröffentlichte, ohne vorher mit Freud oder einem anderen darüber diskutiert zu haben, entstand ein Bruch. In diesem Buch versuchte er, ausgehend vom Trauma der Geburt, eine neue Sicht von der geistigen Entwicklung des Menschen und dessen Verhalten in der psychoanalytischen Therapie aufzubauen. Sigmund Freud akzeptierte das Buch anfänglich, obwohl es z. B. bei Karl Abraham auf heftigen Protest gestoßen war, war aber von Ranks Versuchen, um diese Darlegung herum eine neue psychoanalytische Theorie und Technik aufzubauen, konsterniert. Rank selbst war über die Aufregung, die sein Buch verursacht hatte, sehr erstaunt, ließ sich jedoch nicht von seinem Weg abbringen und veröffentlichte 1931 eine weitere Arbeit über die psychoanalytische Technik, die seine Ideen noch detaillierter ausführte. Freud bemühte sich wiederholt, Rank zur Rückkehr in die Vereinigung zu bewegen, hatte jedoch keinen Erfolg.

Paul Rée

1849-1901, Philosoph und Arzt.

Er wurde als Sohn eines reichen Gutsbesitzers in Bartelshagen/Pommern geboren. Ende der 60er Jahre siedelte die Familie auf das Gut Stibbe in Westpreußen über. Schon in der Schule fiel Rée mit seinem Hang zu philosophischen Reflexionen auf. Auf Wunsch seines Vaters aber studierte er in Leipzig Jura. Während seines Militärdienstes brach der deutsch-französische Krieg aus. Rée ging sofort ins Feld und wurde bei Gravelotte verwundet. Nach dem Krieg veranlaßte ihn die Lektüre Schopenhauers, die Jurisprudenz aufzugeben und sich nun vollständig dem Philosophiestudium zu widmen. Nach einer kleineren, anonym erschienenen Veröffentlichung erlangte er mit der Abhandlung »Der Ursprung der moralischen Empfindungen« 1875 die Doktorwürde. Einige Zeit vorher hatte er persönliche Bekanntschaft mit Friedrich Nietzsche gemacht, der am 5.5.1873 aus Basel an Erwin Rohde schrieb: »Hier ist, für den ganzen Sommer, ein Freund Romundt's eingetroffen, ein sehr nachdenklicher und begabter Mensch, Schopenhauerianer, namens Rée.« (KGB II, 3, S. 150) Zwischen Ree und Nietzsche entwickelte sich eine intensive, von gegenseitiger Achtung getragene Freundschaft – der Briefwechsel zwischen den beiden Philosophen spiegelt viel von dieser warmen Sympathie wider. Selbstlos kümmerte sich Rée auch um das körperliche Wohlbefinden des leidenden Nietzsche, der einmal aus Freude über die Ankunft des Freundes einen Ohnmachtsanfall erlitt (vgl. Schlechta 1975, S. 81). Auch der philosophische Austausch war rege, und Rées handschriftliche Widmung in Nietzsches Exemplar seiner Dissertation: »Dem Vater dieser Schrift dankbarst die Mutter« (Dok. S. 383), ist nur dessen geringstes, anekdotisches Zeugnis. Nietzsche nannte den Freund »einen der kühnsten und kältesten Denker«.

Heinrich Romundt

1845-1919, Philosoph.

Er war seit dessen Baseler Zeit mit Nietzsche befreundet und vermittelte dessen Bekanntschaft mit Paul Rée. Er arbeitete als Privatdozenz und war Schopenhauerianer.

Felix Salten

eig. Siegmund Salzmann, 1869-1947, Journalist und Schriftsteller.

Nachdem er aus finanziellen Gründen auf ein Studium verzichten mußte, war er zunächst Kontorist, danach Journalist, bald Feuilletonredakteur der Wiener »Zeit«. Er schrieb Theaterstücke, Novellen, historische und Gesellschaftsromane; erfolgreich war er vor allem mit seinen Tiergeschichten, von denen »Bambi« (1923) durch den späteren Zeichentrickfilm von Walt Disney weltberühmt wurde.

Max Scheler

1874-1928, Philosoph.

Er hatte sich der Phänomenologie Edmund Husserls angeschlossen und propagierte ab 1921 eine religiöse Erneuerung: »Vom Ewigen im Menschen« (1921). Kurz bevor Lou ihn kennenlernte, war sein Buch »Der Formalismus in der Ethik und die materielle Wertethik« (1913) erschienen. Später näherte er sich wieder mehr Schopenhauerschem und spinozistischem Gedankengut an. Er gilt als Wiederbegründer einer philosophischen Anthropologie.

Johannes Schlaf

1862-1941, Schriftsteller.

Er studierte anfangs Theologie, dann alte Sprachen und Germanistik in Halle und Berlin. Später lebte er als freier Schriftsteller und schloß sich den Berliner Naturalisten an; 1888-1892 Zusammenarbeit mit Arno Holz (vgl. dort).

Arthur Schnitzler

1869-1931, Arzt und Schriftsteller.

Mit seiner 1893 erschienenen Szenenfolge »Anatol« hatte er bereits den alle seine Werke durchziehenden erotischen Grundton angeschlagen; die Uraufführung 1893 des 1891 geschriebenen Stückes »Märchen« mit Adele Sandrock in der Hauptrolle brachte seinen ersten Theaterskandal. Die Themenwahl blieb auch in seinen späteren Werken die gleiche: differenzierte Analyse menschlicher Beziehungen und Kritik am Zwang geltender Normen und Vorstellungen.

Franz Schoenberner

1892-1970, Journalist und Redakteur und ein entfernter Neffe von Lou Andreas-Salomé.

Er war 1927-1929 Redakteur der Zeitschrift »Jugend« und 1929-1933 Chefredakteur des den Nazis unliebsamen »Simplizissimus«. Dann mußte er Deutschland verlassen. Er starb in New York.

Götz von Selle

1893-1956, Bibliothekar und Professor in Göttingen.

Er hatte bei F.C. Andreas studiert – er war sein Lieblingsschüler gewesen – und war dann Bibliotheksrat der Göttinger Universitätsbibliothek und Honorarprofessor für Bildungs- und Geistesgeschichte in Göttingen und Königsberg.

Eduard Spranger

1882-1963, Professor für Pädagogik in Leipzig.

Er führte die lebens-, geschichts- und kulturphilosophischen Forschungen Wilhelm Diltheys fort und gab entscheidende Anregungen für die Persönlichkeits- und Jugendforschung. Sein Ziel war es, eine geisteswissenschaftliche Psychologie zu schaffen.

Heinrich Freiherr vom Stein

1857-1887, Philosoph.

Durch Malwida von Meysenbug kam er als Erzieher 1879 für ein Jahr nach Bayreuth zu Richard Wagner, der tief auf ihn wirkte. 1881 wurde er Privatdozent in Halle, 1884 in Berlin, wo er über Schopenhauer und Wagner las und sich Dilthey anschloß. Vorübergehend war er auch mit Nietzsche bekannt. Als Vertreter eines ästhetischen Irrationalismus betrachtet er Kunst als Ausdruck der Weltanschauung; Hauptwerk: »Die Entstehung der neueren Ästhetik« (1886).

Wilhelm Stekel

1868-1940, Psychoanalytiker.

Er war Arzt und als Journalist sehr begabt. Zeitweilig war er Redakteur des »Zentralblatts für ärztliche Psychoanalyse«.

Viktor Tausk

1879-1919, Psychoanalytiker.

Er stammte aus dem heutigen Kroatien und hatte in Wien Jura studiert. Nachdem er jedoch ein Todesurteil nicht unterschreiben wollte, gab er diesen Beruf auf (»Neues Wiener Journal« vom 4.7.1919, S. 7). Zu dieser Zeit war er bereits verheiratet und hatte zwei Söhne. 1904 verließ er seine Familie und versuchte sich als Journalist, was ihm nur mühsam gelang. Dennoch bemühte er sich, den Unterhalt für seine beiden Söhne zu verdienen. Im Herbst 1907 erlitt er einen »Nervenzusammenbruch«, so daß er mehrere Wochen in einem Sanatorium verbringen mußte. Noch in demselben Jahr muß er in Berlin von der Psychoanalyse erfahren haben; ab Oktober 1909 nahm Tausk an den Sitzungen der Mittwoch-Gesellschaft in Wien teil und hielt dort am 24.11.1909 sein erstes Referat. Mit Freuds Unterstützung begann er erneut zu studieren: diesmal Medizin. Als 1914 der Krieg begann, hatte er soeben das Studium beendet und sich niedergelassen. Er wurde eingezogen und schon 1916 zum Oberarzt befördert. Wieder nach Wien zurückgekehrt, wählte er im Juli 1919 den Freitod. (Die biographischen Angaben folgen M. Tausk 1983b). Eben dieser Selbstmord ist es, der in den 70er Jahren einen heftigen und bis heute nicht endgültig entschiedenen Streit um Freuds mögliche Mitschuld an diesem Tod ausgelöst hat.

Ferdinand Tönnies

1855-1936, Soziologe, 1891-1923 Professor in Kiel.

In seinem Hauptwerk »Gemeinschaft und Gesellschaft« (1887) behandelt er maßgeblich den Unterschied zwischen Dorf und Stadt: Gemeinschaft als echtes und dauerndes Zusammenleben in Familie und Volk, Gesellschaft als Zweckkonstruktion, die immer mehr entartet, je mehr die Gemeinschaft schwindet. Als Hobbes-Forscher hatte Tönnies internationalen Ruf.

Jakob Wassermann

1873-1934, Schriftsteller.

Er begann seine literarische Laufbahn als Mitarbeiter des »Simplicissimus« in München; ab 1893 arbeitete er als freier Schriftsteller; er hielt sich – trotz allgemeiner moderner Strömungen – an die klassische Form des Romans, zu dessen zentralen Themen er den Kampf um Gerechtigkeit machte. 1897 erschien sein Erstlingswerk »Die Juden von Zirndorf«.

Frank Wedekind

1864-1918, Schriftsteller und Schauspieler.

Nach dem Studium der Germanistik hatte er unter anderem zeitweilig als Werbechef bei Maggi und als Sekretär für einen Zirkus gearbeitet. In Paris war er als Sekretär bei seinem Mäzen Willy Gretor beschäftigt. 1890 hatte er in München die Jugendtragödie »Frühlingserwachen« geschrieben; ihre Uraufführung 1906 – der auch Lou Andreas-Salomé beiwohnte – unter Max Reinhardt in Berlin brachte ihm den entscheidenden Durchbruch.

Viktor von Weizsäcker

1886-1957, Arzt.

Er war der Begründer der Medizinischen Anthropologie und Psychosomatik und versuchte, die Erkenntnisse der naturwissenschaftlichen Medizin, der Naturphilosophie und der Psychoanalyse zu einer »Einheit der Medizin« zu verschmelzen. Er beschäftigte sich ab 1925 intensiv mit der Psychoanalyse und hat am 4.11.1926 Freud in Wien besucht. Goldmann (1988, S. 841) sieht Lou Andreas-Salomé im Hinblick auf Weizsäckers ambivalente, von Zweifeln geprägte Position als Vermittlerin zwischen »Weizsäcker einerseits, dem ›Atheisten‹ Nietzsche und Freud andererseits«. Weizsäcker war gut mit Viktor-Emil von Gebsattel bekannt.

Bruno Wille

1860-1928, Schriftsteller.
Gemeinsam mit Wilhelm Bölsche initiierte er den Friedrichshagener Dichterkreis. Er war der erste Leiter der von ihm 1890 gegründeten »Freien Volksbühne«, die auch den Arbeitern Zugang zur Kunst verschaffen wollte.

Akim Wolynski (1861/1863-1926)

1861/63-1926, russischer Literaturkritiker, Kunsthistoriker, Philosoph; eigentl. Chaim L. Flexer

Ende 1880er Jahre begann Wolynski seine Zusammenarbeit mit der Petersburger Zeitschrift für Literatur, Wissenschaft und Politik „Sewerny Westnik“. Zusammen mit Ljubow Gurewitsch leitete er die Zeitschrift bis zu ihrer Einstellung im Jahre 1898. Im Jahr 1900 erschien sein Leonardo-da-Vinci-Buch, in das er seine Beobachtungen aus der Zeit in Wolfratshausen einfließen ließ. Wolynski war auch ein Vermittler russischer Literatur in Deutschland. Erwähnenswert sind vor allem seine beiden Dostojewski-Arbeiten: „Das Buch vom großen Zorn“ (1904, dt. 1905) und „Das Reich der Karamasoff“ (1901, dt. 1920). In späteren Jahren befasste sich Wolynski mit dem Theater und Ballett. 

(von Grażyna Krupińska, siehe auch das Nachwort zu Bd. 17 Russische Texte)

Zu Begegnungen

 

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